Müll als Leidenschaft

Signa und Arthur Köstler über ihre Festwochen-Uraufführung, ihre Universen und Hunde.

Die Presse, 06.05.2016

von Barbara Petsch

Link: Die Presse

Es ist schon merkwürdig, dass ein Real-Estate-Unternehmen und ein Künstler-Kollektiv denselben Namen tragen, obwohl sie nichts miteinander zu tun haben: Signa. Signa, die Künstler, das sind die Dänin Signa und der gebürtige Gmundener Arthur Köstler, der übrigens nicht mit dem bekannten Schriftsteller Arthur Köstler („Sonnenfinsternis“) verwandt ist. Signa präsentiert Environments, multimediale Performances, in denen die Grenzen zwischen Spielern und Zuschauern verschwimmen bzw. aufgehoben werden. Beim Steirischen Herbst luden Signa zur „Komplex-Nord-Methode“ in ein Spital, beim Young Director‘s Project in Salzburg in das „Ehemalige Haus“ zu Gespenstern der Vergangenheit. Mit „Wir Hunde/Us Dogs“ präsentiert sich das ­Powerpaar erstmals in Wien bei den Festwochen.

In Ihren Aufführungen spielt der Raum eine große Rolle. Wie wohnen Sie selbst? Skandinavisch?

Signa Köstler: Ja, aber nicht so, wie man es landläufig versteht, eher skandinavisch-zigeunermäßig. Fast alles, was wir haben, ist vom Sperrmüll oder vom Flohmarkt. Ich bin eine obsessive Sammlerin. Wir haben in Kopenhagen eine sehr besondere Wohnung, ein Penthouse im 15. und letzten Stock eines heruntergekommenen Sozialbaus aus dem Jahr 1952.

Arthur Köstler: Dieses Hochhaus war einer der ersten Betonplattenbauten. Die Architekten bekamen einen Preis. Es bedeutete Prestige, dort einzuziehen. Vor uns hat in diesem Penthouse der Direktor einer Konservenfabrik mit seinem Butler gewohnt. Das war eine homosexuelle Beziehung, die versteckt werden musste.

Bauen Sie auch Objekte, oder nutzen Sie Vorhandenes?

Signa Köstler: Wir bauen nichts. Ich durchwühle den Müll, das ist meine große Leidenschaft.

Arthur Köstler: Man könnte sagen, du bist ein bisschen ein Messie.

Signa Köstler: Aber ich brauche die vielen Sachen ja auch für meine Arbeit und meine Bühnenbilder.

Wie hat das begonnen mit Ihren Performances?

Signa Köstler: Wir kommen beide aus der bildenden Kunst. Ich habe an der Universität Kunstgeschichte studiert. Aber mein Interesse waren begehbare Räume, Rauminstallationen. Die erste, die ich gebaut habe, hieß „Precious Fallen“, wertvolle Gefallene, da ging es um den Mythos der gefallenen Frauen, Identität und Selbstwert, Würde und Weiblichkeit. Ich habe damals selbst im sogenannten Rotlichtmilieu gearbeitet, das Thema hat mich sehr beschäftigt.

Gibt es Vorbilder? Sind Ihre Performances geprägt von griechischem Theater, das eine Katharsis auslösen will, von Spiritualität oder von bestimmten Künstlern beeinflusst?

Signa Köstler: Eigentlich nicht. Wir schaffen unsere eigenen Universen. Aber es gibt bildende Künstler, die mich inspiriert haben, etwa Joseph Beuys, Readymades. Auch Film ist wichtig. Das Zentrale für mich sind aber normale, echte oder heruntergekommene Räume. Diese Spuren von gelebtem Leben, von vielen Menschen, auch Abfall, das sagt sehr viel über uns aus.

Was kostet ein Signa-Universum? 100.000 Euro?

Arthur Köstler: Das kostet schon mehr. Wir machen die Budgets immer gemeinsam mit den Produzenten, meist sind das Theater oder Festivals. Hier in Wien haben wir eine Kapazität für 75 Besucher. Das geht nicht anders, weil unsere Vorstellungen auf Dialog basieren, wenn zu viel Publikum da ist, funktioniert das nicht. Wir touren auch nicht. Wir machen unsere Aufführungen immer für einen bestimmten Ort: Hier, in Wien, bei den Festwochen haben wir für „Wir Hunde/Us Dogs“ drei Etagen in der Faßziehergasse beim Volkstheater zur Verfügung, der Raum ist nicht so groß, wir haben 45 Schauspieler. Die Aufführung dauert fünf Stunden.

Zu viel darf nicht verraten werden, aber worum geht es?

Signa Köstler: Die Besucher sind zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. Sie bekommen Einblick in den Alltag der Figuren dieses besonderen Hauses – und wir besuchen die Zuschauer auch daheim, also jene, die das möchten. Der Hund ist eine Spezies, die durch Menschen entstanden ist, durch Zucht und Inzucht, ohne Menschen würde es keine Hunde geben, nur Wölfe. Der Hund ist völlig abhängig vom Menschen, er ist so ein Wunschwesen, er zeigt auch das Triste und das Schlechte am Menschen, nämlich dass dieser das Bedürfnis nach Unterwerfung eines anderen hat.

Haben Sie Hunde?

Signa Köstler: Nein, ich mag keine Hunde.

Arthur Köstler: Gegen einen Hund würde ich mich sträuben.

Wie haben Sie beide einander gefunden?

Signa Köstler: Ich habe ihn als Schauspieler engagiert. Wir waren ein künstlerisches Team und haben sehr schnell bemerkt, dass wir einander sehr gut ergänzen.

Jetzt sind Sie schon zehn Jahre verheiratet. Streiten Sie manchmal? Haben Sie Kinder? Wie geht das Privat- und das Familienleben mit Ihrer Arbeit zusammen?

Signa Köstler: Wir haben jeder ein Kind, aber keine miteinander. Wir haben die Betreuung der Kinder, die jetzt schon größer sind, mit unseren früheren Partnern aufgeteilt. Und wir haben ein Pflegekind in Rumänien. Darum sind wir öfter für längere Zeit dort. Es ist ein wunderschönes, interessantes Land, in dem ich auch viel für unsere Aufführungen sammeln kann.

Arthur Köstler: Wir streiten schon manchmal. Wir sind Tag und Nacht zusammen und momentan auf engstem Raum. Da kommt das naturgemäß auch vor.

Eine symbiotische Beziehung?

Arthur Köstler: Kann man so sagen, obwohl wir sehr verschieden sind. Ich bin sozialer als die Signa, die eher menschenscheu ist, aber nicht immer. Ich bin nicht so analytisch wie sie. Signa hat schärfere Ideen und bessere Lösungen für künstlerische Probleme. Ich bin mehr praktisch.

Signa Köstler: Ich wühle in meiner existenziellen Angst herum. Ich bin eine Perfektionistin. Diese Arbeit, die wir machen, entsteht aus Zufällen und Chaos. Dieses Konzept kollidiert mit meinem Perfektionismus und das löst die Angst aus. Es beschäftigt mich auch, dass die menschliche Gemeinschaft nicht wirklich funktioniert, dass Beziehungen letztlich unmöglich sind, dass Menschen einander nicht verstehen können und jeder eine Insel ist. Ich irre oft in meinen Dystopien herum. Arthur hilft mir, er ist ausgeglichen.

Ihre Performances gehen sehr nahe an die Menschen heran, in sie hinein. Fangen Zuschauer manchmal zu weinen an?

Arthur Köstler: Das kommt immer wieder vor. Es gibt wütende, traurige, liebende, auch lustige Reaktionen, es gibt Besucher, die hassen, was wir machen, und hinaus rennen. Aber wir achten schon darauf, dass wir unsere Aufführungen immer in neue Richtungen lenken, die das Provokative wieder ausgleichen. Man muss die Menschen da abholen, wo sie sind, wie es so schön heißt.

Musste schon einmal der Arzt kommen?

Signa Köstler: Im allgemeinen überlassen wir es den Leuten selbst, zu verarbeiten, was sie bei uns erleben. Manche sagen, es ging ihnen schlecht nach der Aufführung oder sie konnten nicht schlafen, weil es sie so sehr beschäftigt hat, was sie gesehen haben. Aber wir beleuchten ja keine erfundenen Themen, sondern reale zwischenmenschliche und existenzielle Probleme. Ich denke, dass die Leute das auch suchen, dass sie stark reagieren wollen, dass sie sich berühren lassen wollen, auch auf eine unangenehme Art. Wir versuchen, nicht übergriffig zu sein. In unseren Aufführungen gibt es das Düstere und das Gefährliche, aber gleichzeitig erleben die Zuschauer diese Dinge in einem geschützten Raum. Wir versuchen nicht Leute auszustellen – schon gar nicht auf arrogante Art. Es geht um eine Begegnung mit Mitmenschen, die uns fremd und unverständlich bleiben, weil sie anders sind als wir. Und es geht darum dieses Andere oder das Fremde in sich selbst zu entdecken.

Sind Sie religiös?

Signa Köstler: Eigentlich nicht. Aber unsere Arbeit erinnert manche an einen Beichtstuhl. Man kann Geständnisse machen und auch Seiten von sich zeigen, die man nicht zeigen will und kann. Die Aufführungen haben auch etwas Rituelles – die Besucher nehmen gern etwas mit oder bekommen etwas geschenkt, was sie dann aufbewahren.

Können Sie noch etwas von Ihren familiären Hintergründen erzählen?

Arthur Köstler: Mein Vater ist Tischler, Papiermacher und Sozialist. Er hat in der Papierfabrik Steyrermühl gearbeitet. Meine Mutter war Hausfrau und bei der Gmundener Keramik beschäftigt. Mein Bruder ist Geschäftsmann.

Wie hat Ihr Vater auf Ihre künstlerischen Ambitionen reagiert?

Arthur Köstler: Mein Vater lebte als Sozialist in einem kleinen Dorf. Für ihn war die freie Entscheidung wichtig. Er hat mir alle Wege offen gelassen. Subtil habe ich gespürt, dass sich meine Eltern Sorgen gemacht haben: Ein Künstler? Hoffentlich endet er nicht als Sandler. Ich war dann Frontman in einer Band namens Pest, als die Zeitung das erste Mal über mich geschrieben hat, war mein Vater beruhigt. Und als ich nach Dänemark ging, hat meine Mutter aufgeatmet: Wenn er ins Ausland geht, wird er es schaffen, dachte sie.

Signa Köstler: Ich bin in der dänischen Provinz aufgewachsen, in einer kleinen Stadt mit 30.000 Einwohnern. Das Milieu war ziemlich intolerant. Mein Vater war Staatswissenschaftler, er hat beim Arbeitsamt gearbeitet. Meine Mutter hat am Gymnasium Englisch und Deutsch unterrichtet. Bei uns zu Hause gab es viele Bücher. Meine Eltern waren ehrgeizig für uns Kinder, sie haben erwartet, dass wir eine akademische Laufbahn einschlagen, was ich dann ja auch versucht habe. Meine Eltern haben sich sicher Sorgen gemacht, ich war auch sehr wild.

Wenn die Aufführung in Wien vorbei ist, was machen Sie dann?

Arthur Köstler: Wir hatten jetzt zwei Produktionen hintereinander. Wir werden erst einmal aufräumen und sechs Monate pausieren.

Das heißt, Sie können immerhin halbwegs von Ihrer Kunst leben?

Signa Köstler: Wir verdienen in etwa so viel wie Bus-Chauffeure.

Arthur Köstler: Die Subventionen, die wir bekommen, stecken wir in unsere Aufführungen. Es war auch schwierig, in Dänemark Geld von der öffentlichen Hand aufzutreiben. Wir müssen jährlich einreichen. Wir brauchen ja Unterstützung für die Vorbereitung neuer Projekte oder für unser Lager auf dem Land. Wir leben sehr bescheiden.

 
   
 
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