Signa Sørensen und Arthur Köstler über ihre Performance-Installationen
Alte Bürostühle. Der Raum hat ein Eigenleben, erzählt von Bürokratie, Macht, Unterdrückung. Das ehemalige Ordnungsamt der Stadt Köln steht seit Jahren leer. Nun ist das Performancetrio Signa eingezogen und entwickelt hier eins seiner interactive Projekte. Es gibt keine Distanz zwischen Zuschauern und Spielern, das Publikum ist Teil einerfremdartigen Welt. Signa Sørensen und Arthur Köstler sowie Ausstatter Thomas Bö Nilsson haben Franz Kafkas Roman „Der Prozess" als Grundlage genommen.„Die Hundsprozesse" heißt ihre Performance-Installation, die am 19. April uraufgeführt wird. Es ist schon die dritte Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Köln.
Warum haben Sie beide so eine Begeisterung für kaputte, abbruchreife Gebäude? Signa: Wir arbeiten gern in Gebäuden mit Gebrauchsspuren, wo man spürt, dass dort etwas gewesen ist. Auch bei unserer letzten Arbeit in Köln -„Die Hadesfraktur" im Hotel Timp, einer ehemaligen Travestiebar - war das Haus zuerst ganz leer. Wir haben später herausgefunden, dass die Möbel, die wir uns besorgt hatten, ziemlich genau denen entsprachen, die dort vorher waren.
Erspüren Sie den Geist des Ortes? Signa: Wir sind ganz unesoterisch.Trotzdem fühlte man natürlich, dass das Hotel Timp seit den zwanziger Jahren ein Puff war. Es hatte etwas Dekadentes. Nun sitzen wir im ehemaligen Ordnungsamt.
Wie finden Sie diese Gebäude? Arthur: In diesem Fall war es leicht. Das Schauspiel Köln hatte uns dieses Haus schon vor einigen Jahren vorgeschlagen. Signa: Wir fangen immer mit dem Gebäude an und entwickeln dann ein Konzept. Köln hat ja auch eine interessante Geschichte, was die Bürokratie angeht, zuletzt der Einsturz des Stadtarchivs.
Wie proben Sie Ihre Performance-Installationen? Signa: Wir machen Workshops. In diesem Fall sind es vier Blöcke. Dazwischen arbeiten wir weiter, die Schauspieler entwickeln selbstständig ihre Charaktere. Darüber hinaus bilden sie Gruppen, für die technische Ausstattung, fürs Bühnenbild. Den grundlegenden Stil legen wir diktatorisch fest, aber jeder arbeitet mit. Die Schauspieler kommen aus den USA oder aus Island, auch aus Berlin, Leipzig, Hamburg. Sie wohnen die ganze Zeit hier. Die Hälfte des dritten Stocks ist für die Wohnungen reserviert.
Gehen Sie in diesen Workshops schon komplett in-die Rollen hinein? Leben Sie in Ihnen? Signa: Nein, wir üben zwar Improvisationsabläufe. Aber es wird auch viel geredet und geschrieben. Die Geschichten müssen zusammen passen. Das ist ein kompliziertes Netz aus Beziehungen und Verhältnissen. Wir können erst einsteigen, wenn wir alles genau kennen. Sonst können wir in den Situationen nicht unmittelbar reagieren. Arthur: Wir kreieren die Charaktere nicht von vorn herein. Das geschieht während der Proben mit den Schauspielern. Deswegen setzen wir den ersten Workshop relativ früh an. Und dann wird geschrieben.
Welche Rolle spielt denn bei Ihrer Arbeit die Produktionsdramaturgin des Schauspielhauses? Arthur: Sie berät, und wenn wir uns mal nicht sicher sind, können wir sie mit ihr reflektieren. Sie besorgt uns Texte und Filme, die wir uns anschauen sollten. Auch da arbeiten die Schauspieler mit, das ist ein sehr umfangreiches Gebiet.
Bei den „Erscheinungen der Martha Rubin" hat die Dramaturgin Sibylle Meier auch mitgespielt. Signa: Sie ist unser Bindeglied zum Schauspiel Köln. Was am Anfang schwierig war. Sie hatte uns gefunden, und ihre Kollegen kannten uns nicht, hatten nichts von uns gesehen, waren skeptisch.
Was haben Sie überhaupt mit dem Schauspie! Köln konkret zu tun? Arthur: Technisch sehr viel. Die sorgen für Strom, sichern alles ab, kümmern sich um Fluchtwege und Brandschutz, legen Wasserleitungen. Signa: Letztes Jahr haben wir in Leipzig gearbeitet und zwar im Haus, in allen Foyers. Das war ganz anders, da waren wir in dieser Zeit die einzige Produktion und hatten den ganzen Apparat zur Verfügung. Die haben uns die Kostüme gewaschen und gebügelt, uns frisiert und geschminkt. Das haben wir noch nie erlebt. Bei der Kölner „Hades-Fraktur" habe ich jeden Tag die Perücken aufgearbeitet. Arthur: Wir können heute besser definieren, was wir eigentlich brauchen. Signa: Bei den „Erscheinungen der Martha Rubin" haben wir gesagt, wir brauchen altes Holz, verrostete Wellblechplatten und so. Dann haben die gesagt, schön, hier ist der Katalog, dann bestellen und patinieren wir das. Und wir riefen: Nein, das ist viel zu teuer. Die konnten sich unsere Art von Arbeit überhaupt nicht vorstellen. Auch nicht, dass unsere Schauspieler damals ein halbes Jahr ohne Geld gearbeitet haben. Die Gagen sind immer noch ziemlich bescheiden.
Wovon leben die denn? Das sind doch professionelle Schauspieler? Arthur: Von gut bezahlten Jobs zwischendurch, Drehtagen, mal einem Werbespot. Für uns opfern sie sich auf, proben manchmal nachts und arbeiten tagsüber.
Sie integrieren ja in den letzten Produktionen Schauspieler des Kölner Ensembles in Ihre Gruppe. Wie läuft denn das? Signa: Eine klassische Bühnenausbildung kann ein Nachteil sein. Sie müssen akzeptieren, dass es hier nicht nur ums Spielen geht sondern jeder auch harte, dreckige körperliche Arbeit macht. Das gehört dazu. Es gibt inzwischen aber einige, die bei jeder unserer Shows dabei sein wollen. Arthur: Man muss natürlich spielen und verstehen, dass nicht immer etwas passiert. Es gibt nicht die klassischen Strukturen einer Szene oder eines Dramas. Die Schauspieler müssen bereit sein, Schamgrenzen zu überschreiten. Nicht nur, was Nacktheit und Intimität angeht. Sondern vor allem im ganz direkten Kontakt mit dem Publikum. Signa: Es muss ein großes Vertrauen unter uns entstehen. Niemand wird zu etwas gezwungen. Jeder setzt seine Grenzen. Aber jeder hat auch die Freiheit dazu. Das ist das Fundament. Wir bilden eine intensive, hermetische Gruppe, in der wir alle hart zusammenarbeiten.
Kennen die Zuschauer denn auch ihre Grenzen? Wenn es da zum Beispiel sehr offensiv um Erotik und Gewalt geht? Signa: Wir haben inzwischen mehr als 30 Stücke in diesem Stil inszeniert. Und vorher habe ich als so genanntes Champagnermädchen gearbeitet. Das waren jeden Tag intensive Begegnungen in einem künstlichen Raum. Deshalb können wir den Schauspielern eine ganze Menge an Strategien vermitteln, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen können.
Es gehört zu ihrem Konzept, an die Grenzen zu gehen. Arthur: Besonders intensiv war es bei „Salö oder die 120 Tage von Sodom" in.Kopenhagen. Das war ein richtiger Skandal. Aber vor allem haben sich Leute erbost, die das Stück gar nicht gesehen hatten. Da ging es auch ständig darum, dass wir die Schauspieler so schlecht behandeln. In den Medien sind die Schauspieler richtig entmündigt worden.
Entmündigtfühlt sich auch der Held in Franz Kafkas Roman „Der Prozess". Er ist angeklagt und weiß nicht, warum. Übertragen Sie das auf die Zuschauer der „Hundsprozesse"? Signa: Letztlich ist jeder völlig abhängig vom Staat, vom Gesundheitswesen zum Beispiel. Da denkt man im normalen Leben nicht drüber nach bis zu dem Punkt, an dem man plötzlich entmündigt ist. Es wird hier ganz viele Verhöre, Prozesse, Instanzen geben. Es ist wie ein Labyrinth.
Zentral geht es bei Ihrer Arbeit um Macht, Gefahr, Entmündigung? Signa: Ja und überhaupt um menschliche Beziehungen und Begegnungen. Manchmal ist die Gefahr ein großer Teil davon, weil es in uns ja starke Triebe gibt. Das neue Stück handelt von der Macht des Gesetzes, des Staates, einer Übermacht.