SIGNA, das gefeierte Performance-Kollektiv, das schon länger in der deutschen und dänischen Theaterszene mit innovativen und provokanten Installationen Furore macht, arbeitet zum ersten Mal in Wien. Zu verdanken ist das dem Volkstheater und den Wiener Festwochen, die in einer Koproduktion die aufwendige Installation ermöglichen, dass Signa auf den Hund kommen kann, genauer gesagt: auf den Hund in Menschen, die eigentlich ganz normal als humane Wesen geboren wurden, aber später entdecken, dass sie eigentlich ein Hund sind. Ab 14. Mai wird im Haus Fassziehergasse 5 dem Publikum eine tierische Parallelwelt für Erkundungsgänge geöffnet, denn da leben mehrere Familien mit Hundemenschen, die sich in ihr hündisches Dasein ergeben haben.
SIGNA besteht im Kern aus der 1975 in Aarhus geborenen, dänischen Installationskünstlerin Signa sowie dem 1972 in Gmunden geborenen Oberösterreicher Arthur Köstler und gehört zu jenen avancierten Ensembles, die nicht mehr vom Drama eines Autors ausgehen, sondern sich die Textbasis für ihre Produktionen jeweils selber arbeiten. Die beiden sind ein führender Teil jener Stoßtrupps, die im Gegensatz zum traditionellen Theaterbetrieb mit seinen Guckkastenbühnen an einer Ausweitung der Spielzone in ganz neue Dimensionen arbeiten. Sie sprengen nicht nur die Grenzen des Theaters, sondern auch die Konventionen der Darstellbarkeit wie zum Beispiel in ihrer Performance Salò, 2010 in Kopenhagen nach de Sades Buch und Pasolinis Film Die 120 Tage von Sodom, in der sie mit ihrer expliziten Darstellung von Sex und Gewalt heftige Kontroversen auslösten.
Dabei hat sich SIGNA niemals als Gegenreaktion auf das konventionelle Theater begriffen, sie kommen eigentlich aus der bildenden Kunst: „Wir sind vom Theater absorbiert worden“, erklärt Arthur Köstler im Cafe Volkstheater, ganz in der Nähe des Hauses, in dem die Hundemenschen wohnen, „plötzlich sind in unseren Installationen Dramaturgen aufgetaucht, die vorgeschlagen haben, macht das doch bei uns im Rahmen des Theaters.“ Alles begann damit, dass die aus einer Akademikerfamilie stammende Kunstgeschichte-, Film- und Medienwissenschaftsstudentin Signa Sorensen um die Jahrtausendwende anfing, mit der Kunstform Installation zu experimentieren, dies mit Jobs als Champagner Girl in Rotlicht-Klubs finanzierte und dabei wichtige Erlebnisse sammelte: „Ich bin“, erzählt sie, „erstmals auf interaktive Art aufgetreten. So ein Nachtklub ist ja auch so etwas wie eine fiktive Welt, in der man auf Damen trifft, deren Namen nicht stimmen, die Geschichten erzählen, die nicht stimmen und die einem vorgaukeln, wie begehrt man ist. Da passiert die Beschleunigung einer intimen Begegnung und das war für mich die entscheidende Erfahrung für die Form unserer Performances, die auch mit intimen Interaktionen arbeiten, auch wenn das nichts mehr mit dem Rotlichtmilieu zu tun hat.“
Der Grundimpuls von SIGNA war also die Installation, nicht das Theater. Ihre erste Arbeit, erzählt sie weiter, war noch ohne Akteure darin, aber das ließ ihr keine Ruhe und ihr wurde klar: „Ich kann keinen Kunstraum schaffen und ihn mit dem Wissen verlassen, dass dann Menschen darin herumgehen und es keine Begegnung, keine Auseinandersetzung gibt.“ Danach hat die Installationskünstlerin Sorensen beschlossen, keine ihrer Räume mehr zu verlassen, solange es sie gibt und das brachte ihr bald den Ruf ein, eine der spannendsten europäischen Performance-Künstlerinnen zu sein. 2004 traf sie dann auf den Medienspezialisten Arthur Köstler, der zuvor Frontmann der experimentellen Postrock-Band PEST gewesen war. Die beiden wurden ein Paar und gründeten SIGNA, das Performance-Kollektiv, das noch nie in einem Theater gearbeitet hat, sondern für ihre Projekte leerstehende Häuser oder Hallen adaptiert.
Diese Projekte können von 5 bis zu 230 Stunden non Stop dauern und installieren Räume, in denen Machtstrukturen, Ausbeutung, Sexualität, Unterdrückung, Glaubensphänomene und Missbrauch aller Art thematisiert werden. Der Erfolgslauf von SIGNA im Theaterbetrieb begann mit Die Erscheinungen der Martha Rubin zur Eröffnung der Intendanz von Karin Beier 2007 am Schauspiel Köln. Für die Non-Stop-Performance wurde in der Halle Kalk das komplette Dorf einer Art Sekte mit 21 Häusern errichtet, in dem die Zuschauer rund um die Uhr am religiösen Psychoterror teilnehmen konnten. Die Aufführung wurde 2008 zum Berliner Theatertreffen eingeladen, was zu einem der kostspieligsten Gastspiele in der Geschichte des Festivals wurde, denn die 21 Häuser mussten alle per LKW nach Berlin verfrachtet werden.
Diese bis ins letzte Detail sorgfältig ausgestalteten Parallelwelten sind zum Markenzeichen von SIGNA geworden, geschlossene Kunstsysteme, die das Publikum aufsaugen. In Hundsprozesse nach Kafkas Roman Der Prozess, inszeniert 2011 in der ehemaligen KfZ-Zulassungsstelle In Köln Ehrenfeld, konnten die Zuschauer in die Rolle des Herrn K schlüpfen und stundenlang in einem Labyrinth von 79 Verhör-, Gerichts- und Büroräumen versuchen, ihren Fall zu lösen. Dabei setzt SIGNA bei den Akteuren in diesen Installationen ganz auf die Technik des bürgerlichen Schauspiels, auf Einfühlung und das ganz normale Rollenspiel, um damit aber etwas ganz anderes zu erreichen: die Verstrickung des Zuschauers ins Geschehen. „Zuerst einmal werden die Zuschauer von den Performern wahrgenommen“, erklärt Arthur Köstler, „sie bleiben nicht unsichtbar wie im Zuschauerraum des normalen Theaters“. Dadurch hat das Publikum viel weniger Möglichkeiten sich zu entziehen. „Es geht darum“, fährt Signa Köstler fort, „gemeinsam etwas zu erleben und die Zuschauer werden selber zum Täter oder zum Opfer. Sie erleben das Geschehen nicht durch ihren Stellvertreter, den Schauspieler auf der Bühne, sondern sind selber ein Teil davon. Wir versuchen, dass das Publikum mit Leib und Seele eigene Erfahrungen machen kann.“
Besonders drastisch war das bei der Performance Das ehemalige Haus zu erleben, das SIGNA 2011 bei den Salzburger Festspielen bespielte und drinnen zeigte, dass es mitten im reichen, rechtsstaatlichen Europa verborgene Zonen der Gewalt, der Bestialität und des ungeschminkten Verbrechens gibt. Ein altes Familienhaus im Salzburger Vorort Maxglan entpuppte sich als Zentrum des Menschenhandels samt Zwangsprostitution. Die in Vierer-Gruppen eingelassenen Zuschauer wurden zu Komplizen des Grauens gemacht, indem sie etwa dem Menschenhändler bei der Auswahl helfen sollten, welches der drei im Keller eingesperrten, in Playboy-Bunnykostüme gesteckten Mädchen an einen Nachtclub weiterverkauft werden sollte. Nachher wurde das Opfer ‚getestet‘, das heißt ‚zugeritten‘. SIGNA betreibt damit eine ganz eigene, herausfordernde Ästhetik des Widerstands, indem sie den Zuschauer aus seiner mit viel Gratismut gepolsterten Wohlfühlzone herausreißt und mit der Brutalität gesellschaftlicher Konflikte konfrontiert. Der Zuschauer wird so direkt in Gewalt, Ausbeutung sowie Erniedrigung hineingezogen und in entsprechende Interaktionen verwickelt. Dafür hat Signa Köstler einen eigenen Begriff erfunden: „Wohlweh, das bedeutet, wenn etwas weh tut, aber auf produktive Art und Weise. Wir versuchen dieses Wohlweh zu kreieren, damit es zu einem Erkenntnisprozess führt.“
Keinesfalls will sich das Duo in die Schublade ‚politisches Theater‘ stecken lassen. „Das würde heißen, dass wir didaktische Aussagen über das Gute und Böse machen wollen. Dazu sind wir ein bisschen zu dystopisch drauf. Wir schaffen Räume für die Auseinandersetzung mit Aspekten dieser Gesellschaft, die sehr problematisch und schmerzhaft sind, aber wir bieten keine Lösungen an.“ Das trifft natürlich auch auf das neue Hunde-Projekt zu: „Hier“, erläutert Signa Köstler, die für den Text zuständig ist, „geht es um eine Gemeinschaft von Menschen, die zwar als solche geboren wurden, sich aber eigentlich wie Hunde fühlen. Wir nennen sie Hundsch, die Kombination von Hund und Mensch. Diese Hundsche leben mit ihren Herrchen in einer, durch Isolation und Anfeindung von außen abgesonderten, ziemlich heruntergekommenen Gemeinschaft, deren Gründer sich auf seinem Sterbebett entschieden hat, das Versteckspiel zu beenden und die Türen zu öffnen. Also kann das Publikum bei einer Art Tag der offenen Tür, diese Welt der Hundsche mit ihren Herrchen kennenlernen.“
Die naheliegende Assoziation, dass es sich bei diesen Hundschen um eine provokante Übersetzung der Unglückslage handelt, dass viele, ja eigentlich der Großteil der Menschen wie die Hunde leben, abgeschnitten von allen Ressourcen, die ein glückliches Leben ausmachen, also kann man ja gleich zum Hund werden, diese Verknüpfung wird von den beiden Machern nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. „Das Projekt ist nicht so monokausal veranlagt. Es stellt die Frage nach der menschlichen Würde. Was passiert, wenn ein Mensch nicht mehr Mensch sein will, sondern ein Hund? Gibt es auch die Freiheit, nicht mehr frei sein zu wollen? Der Begriff Hund ist ja sehr ambivalent besetzt, einerseits steht er für Unterwürfigkeit, andererseits für grenzenlose Liebe und Treue und er gilt damit als der beste Freund des Menschen. Aber was sagt das wiederum über einen Menschen aus, der einen bedingungslos unterwürfigen Hund als besten Freund bezeichnet. Vielleicht sind jedoch die Menschen in diesem Haus überhaupt die ärmeren Hunde, weil in diesen Zeiten alles so schwierig und es womöglich einfacher ist, ein Hund zu sein.“